David Hume: Über die Selbsttötung
29.10.12024 HE
Ein Jahr nach dem Tod des Philosophen erschienen 1777 zwei Werke, die er zwanzig Jahre zuvor auf Grund des Drucks christlicher Kreise zurückgezogen hatte: Of Suicide sowie Of the Immortality of the Soul. Hier geht es um Ersteres.
Ich fasse hier im Wesentlichen das entsprechende Kapitel aus dem Buch von Gerhard Streminger1 zusammen, das ich sehr zum Lesen empfehle. Einmal, weil es an sich ein wunderbares Werk ist, zum Anderen, weil David Hume als einer der wichtigsten Väter der modernen Philosophie gilt: Einer der größten Aufklärer, und dabei charakterlich mit einer großen Gütigkeit ausgestattet, welcher er den von seinen französischen Freunden verliehenen Titel le bon David verdankt. Jeder Anhänger von diesseitigem Humanismus und Aufklärung sollte Hume kennen.
Am Beginn seiner Abhandlung weist Hume auf die geringe Wirksamkeit des 'gesunden Menschenverstandes' sowie der Lebenserfahrung hin, welche beide ggüb. der 'falschen Religion' und des Aberglaubens haben. Nur die Philosophie in ihrer Rolle als Kritik am Aberglauben, vergleichbar der Rolle der Medizin gegen die Krankheit, somit als ein Gegengift, kann hier Abhilfe schaffen. "Selbst Heiterkeit und ein sanftes Temperament, die Balsam in jede andere Wunde träufeln, liefern kein Heilmittel gegen ein so bösartiges Gift ... Hat aber die gesunde Philosophie erst einmal die Herrschaft über den Verstand erlangt, dann ist der Aberglaube wirksam verbannt, und man kann rechtmäßigerweise behaupten, dass ihr Sieg über diesen Feind vollständiger ist als über die meisten Laster und Unvollkommenheiten, denen die menschliche Natur unterworfen ist."2
"Obwohl 'ein einziger Schritt aus dem Reich des Schmerzes und der Sorge herausführen würde', binden uns die Drohungen des Aberglaubens 'an ein verhasstes Dasein, zu dem dieser selbst in erster Linie beiträgt, es so erbärmlich zu machen.' Humes Hauptargument richtet sich gegen die Vorstellung, dass Selbsttötung eine Übertretung unserer Pflichten gegenüber Gott sei. Aber dieses Argument sei deshalb wenig überzeugend, weil in der materiellen Welt doch eben jene Gesetze wirkten, die Gott ihr gegeben hat. [...] Gott wollte offenbar, dass Menschen sich Gedanken machen müssen um ihr Wohl und Wehe, und in Einklang damit ihre Umwelt verändern. Aber wenn Gott wollte, dass Menschen die Welt formen, worin könnte dann das Verbrechen bestehen, wenn 'ein Mensch, der des Lebens müde ist und von Schmerz und Elend geplagt wird, alle natürlichen Schrecken vor dem Tod tapfer überwindet und diesem grausamen Schauspiel entflieht?'" Wenn Gott die Ordnung der Welt (inklusive der Möglichkeit des Freitods) eingerichtet hat, dann ist es "geradezu blasphemisch, sich einzubilden, dass ein von Gott geschaffenes Wesen die Ordnung der Welt - etwa durch den Freitod - stören könnte." - Selbstmord kann sogar löblich sein, etwa, wenn andernfalls durch Folter der Verrat an Freunden drohte. - Abschließend meint Hume, dass auch aus der Bibel ein Verbot des Selbstmordes nicht hergeleitet werden könne, denn 'du sollst nicht töten' bezieht sich ja auf das Leben anderer.
Interessanter Gedanke: "Die Macht, einen Selbstmord zu begehen, sieht Plinius als einen Vorzug an, den die Menschen selbst der Gottheit voraus haben.".
"Der Freitod sollte somit nicht grundsätzlich als verwerflich angesehen, und Selbstmörder sollten nicht wie Verbrecher behandelt werden. Humes Auffassung vom Freitod dürfte selbst heute noch fortschrittlicher als die Gesetzgebung mancher Länder und das Selbstverständnis vieler Menschen sein."
Den Begriff "Selbstmord" (bzw. Selbstmörder) habe ich hier aus Stremingers Buch übernommen; selbst ziehe ich Selbsttötung, Suizid oder Freitod vor. Ein "Mord", also ein Verbrechen, ist es nur durch den vermeintlichen Verstoß gegen das "Gebot Gottes", das es für Hume (und mich) nicht gibt.
1 Gerhard Streminger, "David Hume", C. H. Beck, 2. Auflage 2017
2 ebd., S. 574